Krachzehn – das mex-Festival

krachzehn

18 Jahre und kein bisschen leise! – mex feiert seine Volljährigkeit,
mit einem experimentellen Musik- und Intermedia-Festival,
an 2 Tagen, an 2 Orten:

10. Dezember 2010 // Freitag // 20 Uhr
domicil
//
Noise intermedial

und
11. Dezember
2010 //
Samstag // 20 Uhr
Künstlerhaus
//
Ohm experimentell

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10. Dezember // domicil
//
Noise intermedial

ZÉ BIF
HMSS
BYUNGJUN KWON

ze bif © Jens Brand / Marcelo Aguirre
ZÉ BIF [AR/D]
// Marcelo Aguirre Schlagzeug
// Jens Brand Video

hmss
HMSS
[D]
// Ludger Hennig
// Markus Markoswski
// Hans Holger Rutz aka Sciss
// Johannes Sienknecht

byungjun
BYUNGJUN KWON
[KOR]

Noise intermedial

18 Jahre und kein bißchen leise – mex, der Verein für intermediale und experimentelle Projekte, hat Grund zum Feiern. Auf die Pauke haut daher das Art-Core Duo Zé Bif des Argentiniers Marcelo Aguirre und des mex-Mitgründers Jens Brand. Während Brand in Anlehnung an japanische Legendär-Erotika den Schneewittchen-Mythos und diverse Nacktbilder durch den Video-Reißwolf jagt, treibt Aguirre sein Drumset in rasanter Free-Metal-Manier vor sich her. Off-Tempo bestimmt hingegen den 2. Satz ihrer Extremsonate, wo kontemplativ geschwenkte Mikrofone vor schwingenden Becken für ein sonores Raumvergnügen sorgen. Spätestens danach dürften auch Konzeptionalisten und Programmierfetischisten aufhorchen, wenn das technisch durch Meister Sukandar ermöglichte Miteinander von harten Non-Bob-Drums und urban-abstraktem Video ansteht.

Ebenfalls und explizit mit großer Lust am Geräusch verkabeln die 4 Herren von HMSS ihre Computer auf offener Bühne zu einem audioproduktiven Netzwerk. Zugriff jedes Solisten auf das Klangmaterial der Anderen, selbstprogrammierte Software-Instrumente und mehrkanalig im Raum austarierte Lautsprecher formen die elektroakustische Improvisation. Ingeniös versiert und musikalisch gebildet, versteht es das Quartett aus Plymouth bis Leipzig mit hin- und herflitzenden Nullen und Einsen organisch geschmeidige Klanggebilde zu synthetisieren, die zwischen körnigem Rauschen und hellem Flirren changieren.

Der Ex-Alternativrocker Byungiun Kwon hat am renommierten Amsterdamer STEIM eine ausgebuffte Techno-Kalligraphie zu effektvoller Bühnenreife gebracht. Mit seiner Eigenkonstruktion, einem Kontaktmikrofon-bewehrten Tintenfüller, beschreibt er unter strenger Videobeobachtung weißes Papier mit expressivem Verve. Der Koreaner fesselt unsere Aufmerksamkeit nicht nur mit flüchtigen Bildern flüssiger Farbstoffe, sondern vor allem mit dem schräpig-knackigen Sound handschriftlicher Tätigkeit. Wer die Augen schließt, vermeint ein explosives Feuerwerk poly-perkussiver Geburtstagsständchen zu vernehmen…

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11. Dezember // Künstlerhaus
// Ohm experimentell

CLAUDIA ROBLES
LUCIO CAPECE
N.
MICROPHONICS

robles
CLAUDIA ROBLES [COL]

capece
LUCIO CAPECE
[ARG]  Giannina Urmenata Ottiker

n
N.
[D]

microphonics
MICROPHONICS
[B]

Ohm experimentell

mex ist jetzt erwachsen – und wird es doch niemals werden. Gut so!

Es geht gleich ganz konzentriert los. Die Kolumbianerin Claudia Robles versetzt sich, verkabelt mit modernster Technik, in eine Art Trance. Kraft ihrer Gehirnaktivitäten steuert sie, per Echtzeit-EEG, mehrere Computer und modifiziert deren Video- und Ton-Rohmaterial. Inmitten des 4-Kanal-Tons und der Projektion sitzend, provoziert sie ein zunehmend intensives Bio-Feedback, bei dem sich das audiovisuelle Geschehen und das Live-Denken der Künstlerin immer enger miteinander verzahnen. Die eine oder der andere aus dem Publikum könnte sich am Ende mental, emotional oder imaginativ in Robles Kopf wiederfinden.

Im zweiten Set widmet Lucio Capece seine Konzentration und zirkulierende Atmung dem Saxofon. Er konfrontiert dessen relativ konstanten, granularen Klang mit einem verwunderlichen Zusatzinstrumentarium. Mit diversen Dingen präpariert und bearbeitet, wird die tradierte Spielweise durch Hereinbrüche des Alltags korrumpiert – so auch, wenn Capece dem Saxofon-Blättchen das Stick-Slip eines Geigenbogens angedeihen lässt. Der Argentinier gestaltet die Zeit weiterhin durch akzentuierende Pausen – und erfüllt sie, die Zeit nämlich, ebenfalls sehr delikat, auch auf elektronische Weise – bei mex mit einem weltpremiären Set aus mehrschichtigem Noise.

Recht unelektronisch, aber landschaftlich inspiriert geht es bei N. zu, wenn der Multer-Gitarrist seinem Instrument sagenhaft schwirrende Dauerklänge entlockt. Andere Musiker bräuchten dafür halbe Orchester oder ganz viel Zeit im Studio. N. hingegen verwendet für die Ambient Drones lediglich Gitarre, Verstärker und Volumen-Pedale. Mit seinem zurecht gerühmten On-Off-N.-Style baut er den mal ätherischen, mal tiefdröhnenden, stets komplexen Sound durch Überlagerungen und Feedbacks auf,. Der Dortmunder ist konsequent: kein Backing, kein Editing, alles Live gespielt, aufgenommen und geloopt.

Ähnlich direkt und meditativ bearbeitet Microphonics seine Solidbody Les Paul. Der Gitarrist aus Gourmet-Belgien verzichtet auf Inputs aus der Konserve und verwöhnt das Publikum bis über beide Ohren mit unendlich langsamen Soundscapes und Minimal Ambient. Räumlich durch 2 Verstärker gut aufgestellt, spielt er mit den Gegebenheiten des Ortes und moduliert, nicht zuletzt per E-Bow und Effektpedal, Oberton und Echo. Durchaus auch melodisch stimmt uns diese mit Hilfe gradueller Verschiebungen und Klangreflektionen im Raum aufgebaute, vielfältig saftige Soundschicht-Geburtstagstorte.

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ENGLISH TEXT VERSION:

Friday, December 10th 2010
domicil Dortmund, 8 p.m.

noise intermedia

18 years old and no sign of settling down anytime soon – mex, Verein für intermediale und experimentelle Projekte, is celebrating its birthday with a festival of experimental music and intermedia.

The Argentine-German artcore duo Zé Bif plan to mark the occasion by letting the first cork pop loudly. While Jens Brand’s B-video chases the Snow White myth through noirish sex & crime soaked nether regions, Marcelo Aguirre drives his drum set in front of him in frenzied free metal manner – before both lapse ad hoc into a floating breakdown, where microphones swing contemplatively in front of brass cymbals bathing the room in sonorous spatial pleasure. A programmed unit of hard non-bop-drums and urban-abstract video radiance forms the finale of this fulminant intermedia sonata.

Equally sound-oriented, the 4 men of HMSS wire their computers on stage to form an audio-productive network, where everyone has access to each other’s sound material. With self-programmed software instruments and an array of multi-channel speakers placed throughout the room, the quartet, with membership spanning from Plymouth to Leipzig, improvises ingeniously and adeptly. Smooth soundscapes, composed of zeros and ones flying to and fro, oscillate between granular noise and light shimmer.

The former alternative rocker Byungjun Kwon has developed a savvy high-tech form of calligraphy ripe for live performance. Under strict video observation, he writes with his contact mic’ed ink pen in an expressive flourish on a sheet of white paper. The strangely crisp sounds of his handwriting gestures will not only appeal to the unbiased ear, but will also please those expecting a poly-percussive birthday song with fireworks…

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Saturday, December 11th 2010
Künstlerhaus Dortmund, 8 p.m.

Ohm experimentell

mex may be all grown up now, but it has zero intention of getting old in its ways – as it should be.

Connected to a real-time EEG, Claudia Robles puts herself, through intense concentration, into a kind of trance. Through the power of her brain activity, she controls several laptops and modifies their raw video and sound material. Sitting amidst the sound and projections, she produces in this manner a kind of bio-feedback loop, within which audio-visual events dovetail with the live thinking of the artist. In the end, we even begin to imagine ourselves as situated in Robles‘ mental space, her head…

Lucio Capece’s concentration and circular breathing are dedicated to the saxophone, whose granular layers of sound he corrupts with various additional objects taken from everyday life. He is known to add to the tension by invoking the stick-slip technique, even playing the reed of the saxophone with a violin bow. Accentuated by pauses, he also sculpts time very delicately using electronic means – at mex this time with a world premiere set of multi-layered noise.

Quite non-electronically, equipped only with guitar, amplifier and volume pedals and inspired by landscapes, Multer guitarist N. elicits sustained whirring sounds from his instrument. By superposition, feedback and his signature on-off N. style, he builds sometimes ethereal, sometimes deeply booming, always complex ambient drones. In doing so the Dortmunder is consistent: no backing, no editing, all live.

Similarly direct and meditative, Microphonics manipulates his solid-body Les Paul. The Belgian guitarist renounces all canned material and treats the audience to a fragile feast for the entire ear with slow soundscapes and overtone-rich minimal ambient. Spatially well spread out with two amplifiers, he plays with the walls, with echo, e-bow and effect pedals. Indeed the music even ventures towards melodic exploration, a moist multi-layered sonic birthday cake.

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Veranstalter
mex – intermediale und experimentelle Musikprojekte e.V.
Mit freundlicher Unterstützung durch das Künstlerhaus Dortmund, das domicil, sowie Pro Jazz e.V. und das Kulturbüro der Stadt Dortmund.
mex wird kuratiert von Maija Julius.

Eintritt
pro Abend: 6 EUR
Festivalkarte: 10 EUR (nur AK)

Adressen
domicil

Hansastr. 7-11
44137 Dortmund

Künstlerhaus Dortmund
Sunderweg 1
44147 Dortmund